Abenteuer Watzmann-Überschreitung: An einem Tag zum Gipfelstürmer
Der Watzmann: „Schicksalsberg“ der Deutschen, „Witwenmacher“ und höchster Berg von Berchtesgaden . Seine Ostwand erstreckt sich über 1.800 Höhenmeter bis zum Gipfel. Damit ist die Ostwand des Watzmann die höchste Felswand der Ostalpen und maßgeblich dafür verantwortlich, dass über 100 Bergsteiger in diesem Gebirgsmassiv den Tod fanden. Die Überschreitung des Watzmann zählt zu den bekanntesten Bergtouren in den Bayrischen Alpen und führt den geneigten Bergsteiger über die drei Hauptgipfel des Watzmann (Hocheck (2.651m), Mittelspitze (2.713m) und Südspitze (2.712m)), die mit einem schwindelerregenden Grat verbunden sind.
So viele tolle Infos für dich 😉 Die hatte ich allerdings nicht, als ich mich für diese Bergtour entschied. Einzig eine kurzer Fernsehbeitrag über „Bergretter in Not“, der über den (heutigen) Irrsinn in den Bergen berichtete und all die Touris, die sich für ihr bedeutungsloses Instagram-Foto in Lebensgefahr begeben, zeigte den Watzmann und erwähnte die Watzmann-Überschreitung. Es war die Rede von „Gefahr“, „Selbstüberschätzung“, „technisch Anspruchsvoll“, „rasanten Wetterumschwüngen“, „Stau“ und das viele der unerfahrenen Bergtouristen die Watzmannüberschreitung fälschlicherweise für einen Kettersteig halten würden.
Das Einzige, das sich davon in meinen Synapsen festgesetzt hatte, waren die Bilder der schroffen Bergflanken und der leicht malzige Geschmack von Abenteuer auf der Zunge. Irgendwann, Irgendwann machst du diese Tour, hatte ich mir fest vorgenommen. Irgendwann kann schneller sein, als man denkt, und als ich vor 14 Tagen für ein Meeting mit meiner alten Africa Twin zum Tegernsee gedüst bin, drängte sich mir diese Chance auf, wie ein fetter Sitznachbar im Billigflieger.
Genug geschwafelt. Wie war nun die Watzmann-Überschreitung an einem Tag? Ist es so hart wie überall behauptet? Musste ich über Berge von in Goretex gewickelte Touristen kraxeln? Dies und vieles mehr liest du in meinem Erfahrungsbericht.
Die Watzmann-Überschreitung: Der frühe Vogel fängt den Salamander
22. Juli 2019. Montagmorgen. 5 Uhr 30. Mein Motorrad und Annas Caddy parken auf dem fast leeren Parkplatz an der Wimbachbrücke bei Ramsau. Hier startet die Tour auf 634m.
Es ist hell genug und die Stirnlampe* verschwindet, genauso wie der FleecePullover*, nach wenigen Höhenmetern im Rucksack. Die Temperatur drückt und der konstant steile, ca. 2 Meter breite Wirtschaftsweg, zaubert uns die ersten Schweißperlen auf die Stirn.
Ab der Falzalm beginnt endlich unebenes Gelände. Der Boden ist matschig feucht und die Steine vom Regen der letzten beiden Tage mit einem glitschigen Film überzogen. Die Kühe freuts. Sie knabbern am saftigen Grass der Alm und ihre unikat läutenden Glocken erzeugen in mir ein Gefühl von Alpenidyll und heiler Almwelt.
Von der Falzalm führt ein steiler, steiniger, schmaler aber guter und viel begangener Steig zum Watzmannhaus hinauf. Jetzt, oberhalb der Baumgrenze öffnet sich der Raum und zeigt die volle Pracht des Watzmann-Gebirgsmassives.
Nach drei der angegebenen 4 Stunden erreichen wir das Watzmannhaus, gönnen uns etwas Obst, Salami, Müsliriegel und eine Handvoll Nüsse.
Während Anna sich stilecht auf den einzigen Vogelschiss des ganzen Baumstammes setzt, wandern meine Augen über die graue Felswand, die sich Richtung Hocheck erstreckt. Wie kleine Ameisen bewegen sich dort Bergsteiger, für das bloße Auge kaum noch erkennbar. Das ist unsere Marschrichtung, murmele ich in meinen nicht vorhandenen Bart und wir traben langsam los, die dunklen Regenwolken im Augenwinkel, die sich beharrlich am Hochkalter (2606m), am anderen Ende des Tales, festgesetzt haben.
Das Watzmann Hocheck: „Das Wetter ist Mist, aber dafür konstant Mist!“
Am Watzmannhaus ist für die meisten Bergsteiger Schluss. Hier wird übernachtet und mit frischen Oberschenkeln in die eigentliche Mission „Watzmann-Überschreitung“ oder zumindest Hocheck gestartet. Für uns war das Watzmannhaus nur eine Frühstückpause wert. Nach notgedrungenen 1300 Höhenmeter zum Auftakt, die sich dennoch in den Oberschenkeln bemerkbar machen, grinst mich endlich der Berg an. Hier beginnt das Abenteuer. „Watzmann du alte Socke, wir kommen!“
Das Terrain wird steiler. Eine dichte Wolkensuppe verhüllt immer wieder den Gipfel des Watzmann-Hocheck, erste Ketten im Fels tauchen auf. Wir befinden uns jetzt auf der Windseite des Massivs und die Temperaturen sinken auf 6 °C, zwingen uns in unsere warmen Fleecejacken.
Die Watzmannüberschreitung: Der schmale Grat am Abgrund
Am Hocheck ist Schluss, nicht für uns aber für 90 Prozent der Bergwanderer. Die Ameisen, die wir vom Watzmannhaus gesehen haben, kehren um.
Die die bleiben, hocken in der Schutzhütte, checken ihre Ausrüstung, legen die Klettersteigausrüstung an und stülpen ihre roten Plastikhelme über die verschwitzte Stirn. Nichts von Stau. Nichts von Massen an Bergsteigern, die sich perlenartig an der Kette über den Grat zur Mittelspitze hangeln. Ich war irritiert und erfreut zugleich. Lediglich zwei Bergsteiger sind 10 Minuten vor uns ungesichert in die Watzmann-Überschreitung gestartet, zwei weitere, sichtlich unfitte mit voller Montur nach uns. Wir haben den Berg fast für uns allein. Ein Traum aus grauem Fels, Wolken und vereinzelten Schneefeldern. Es kann losgehen.
Dicke, weiße Wolken umspielen den Grat. Satte Regenwolken hängen immer noch bedrohlich am Hochkalter fest. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass das Wetter Mist ist, aber dafür seit Stunden konstant Mist. Diese epochale Schlussfolgerung und unser positives Gemüt lassen uns unbekümmert in die Wand einsteigen. Was für ein Anblick. Was für ein Gefühl. Der kalte Stahl der Ketter zieht langsam in meine Hand, jeder Tritt, jeder Griff muss sitzen. Der Watzmann verzeiht keine Fehler, zumindest keine ohne Sicherung. Leben für den Moment.
Viele Sektionen sind nicht nur luftig sondern auch kreuzgefährlich. Der Fels ist brüchig, die Griffe sind klein und die Tritte im Fels weit auseinander. Seile oder Ketten sucht man an exponierten Stellen vergeblich. Das ist definitiv kein Klettersteig, in den du dich einhängen kannst und „sicher“ von A nach B hangelst.
Meine Kamera läuft langsam heiß. Der Watzmann bietet an diesem Tag alles auf, was er an Schönheit zu bieten hat. Dieser Berg macht Laune. Er zwingt mich förmlich dazu in den unmöglichsten Passagen auszuharren, den Moment zu genießen, Fotos zu knipsen, bloß um wenige Schritte weiter erneut innezuhalten und das Panorama aufzusaugen. Anna dagegen ist im Klettermodus, flitzt vorne weg und wundert sich über den alten Sack, der nicht hinterher kommt. So what? Das ist mein erstes Mal in den Alpen, mein erstes Mal am Watzmann. Das muss ich einfach genießen.
Die Watzmann-Überschreitung 2019: „Schreit, wenn ihr Steine lostretet. Das sind wir da unten.“
An der Südspitze treffen wir auf eine geführte Gruppe in voller Klettersteig-Montur. So richtig fit sieht keiner mehr von denen aus.
Behäbig setzt sich die Gruppe in Bewegung und begibt sich in den mühevollen Abstieg, nicht jedoch ohne den verbliebenen auf der Südspitze mahnend das Wort zum Montag zu geben: „Schreit, wenn ihr Steine lostretet. Das sind wir da unten.“
Wir erhaschen noch kurz einen kleinen Blick auf den Königssee, als die Wolkendecke leicht aufreißt, dann machen auch wir uns in den langen Abstieg.
Das die beiden Unfitten nach uns absteigen, passt mir irgendwie gar nicht. Ohne Helm kann so ein Steinchen, losgetreten 50 oder 100 Höhenmeter über einen, einen ziemlichen Schaden auf der Fontanelle anrichten.
Der Abstieg macht auf den ersten Metern schon klar, das es eine Quälerei werden wird. Loses Geröll, brüchige Felsen, die ungefragt nachgeben und Markierungen, die an einigen Stellen leicht übersehen werden können, dich somit in noch ungemütlicheres Terrain oder gar eine Sackgasse führen. All das hält der Abstieg bereit und zieht sich wie ein klebriger Kaugummi, nicht nur über dein Gemüt. Mental und physisch fordert er dich heraus. Sektionen zum Klettern, hier und da eine Kette, meist Geröll. Hier heißt es volle Konzentration, sonst verdrehst du dir die Knie, knickst um oder landest auf deinem Hosenboden.
Generell ist die Watzmannüberschreitung bei schlechtem Wetter kein Ort an dem ich sein möchte. Ein plötzlicher Wolkenbruch und das Kalkgestein wird zu einem glitschigen Freifallschein. Starker Nebel oder Schneetreiben, die die Orientierung erschweren, Windstärken; die dich vom Grat wehen können und nicht zu reden vom Gewitter, wo dir Blitze einen Dreizack in die Wanderhose treiben. All das willst du sicher nicht auf dem exponierten Stück zwischen Hocheck und Wimbachgries erfahren.
Die Gruppe vor uns haben wir bald eingeholt. Insbesondere zwei Frauen daraus sind völlig erschöpft, hadern mit jedem Tritt und laufen teilweise in gefährlich abschüssiges Gelände hinein, weil die Konzentration nicht mehr ausreicht. Der Bergführer tut mir Leid. Diese Gruppe unbeschadet vom Berg zu führen ist eine Mammutaufgabe. Was für Verantwortung für so einen Haufen Bergtouristen. Definitiv nichts für mich.
Endlich vom Berg runter. Endlich im Wimbachgries. Die Fußsohlen brennen wie Feuer. Meine LaSportiva Bergstiefel* sind super für das Kraxeln am Fels aber eine echte Tortur für lange Abstiege oder flaches Gelände.
Die Wimbachgrieshütte (1327m) kommt in Sicht. Von hier sind es noch weitere 8 Kilometer bis zurück zur Wimbachbrücke (634m), dem Start und Ziel der (Tor)Tour.
Es ist kurz nach 20 Uhr und wir erreichen müde aber glücklich den Parkplatz. Was für ein Trip.
Die Watzmann-Überschreitung an einem Tag: Mein Fazit
Ja, es ist machbar. Du kannst die Watzmannüberschreitung an einem einzigen Tag durchführen, solltest aber über absolute Trittsicherheit verfügen, schwindelfrei sein und eine bärenstarke Kondition verfügen.
Insgesamt waren wir fast 15 Stunden unterwegs, haben dabei über 4800 Höhenmeter (2400 hoch und 2400 runter) und ca. 22,5 Kilometer zurück gelegt. Falls du nicht viel Erfahrungen in den Bergen hast, das ist in diesem schwierigem Gelände nicht ohne. Auf verschiedenen Blogs werden für die komplette Überschreitung an einem Tag 10-16 Stunden angegeben, wobei der Rekord für Trailrunner bei unter 3 Stunden liegt.
Ich für meinen Teil fand die Watzmannüberschreitung herausragend. Insbesondere die Sektion über den Grat vom Hocheck zur Südspitze sucht ihresgleichen und wurde nicht umsonst vom Bergsteiger-Magazin zum „schönsten Berg der Welt“ gewählt.
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Absolut fantastische Tour, die sich ab Watzmannhaus in 6h realisieren lässt. Ohne Übernachtung halte ich 8h für die Gesamttour durchaus für denkbar. 🙂
Der Rekord für die Watzmannüberquerung von der Wimbachbrücke liegt seit 2020 bei 2:45 Std!!!
Jupp. Rennen und nicht „Wandern“; nicht beim ersten Versuch; ohne Pausen für Bilder oder Essen; Keine „Touris“, die den Weg blockieren. Kein Gepäck; Solche Rekorde gibt es für jeden Berg aber sie sind für den Normalsterblichen überhaupt nicht aussagekräftig. Gruß Stefan.
Hallo, sehr interessant dein Bericht. Kannst du bitte erläutern wie du auf 4800 hm kommst? Der Watzmann ist ja nur 2700 m hoch. Ich meine, dass nicht mehr als insgesamt 2200 hm zusammenkommen.
Gruss Konrad
Hi Konrad, die Höhenmeter beziehen sich auf Auf- und Abstieg plus die Höhenunterschiede während der Tour (ist ja keine Rampe) 😉
Gruß Stefan
das frage ich mich auch gerade!
Bis jetzt waren es immer knapp 23km und 2400 hm
Hi Marion, sitzt du immer noch auf dem Gipfel? HM bedeutet nicht nur Auf- sondern auch Abstieg 😉 Im September mache ich die Tour nochmal und dann tracke ich das für dich mit. Dann haben alle Gewissheit. Gruß, Stefan.